Die Verwendung von medizinischem Cannabis zur Behandlung des Fibromyalgiesyndroms

Von Valeria Giorgi

Assistenzärztin für Innere Medizin am GOM in Lugano (Schweiz), Forscherin am IRCCS Galeazzi-Sant'Ambrogio Hospital in Mailand (Italien), Akupunkteurin und Kinesiologin, hat sich immer mit chronischen Schmerzen beschäftigt; sie arbeitet eng mit AISF ODV (Italienischer Verein für Fibromyalgiesyndrom - Freiwilligenorganisation), dem größten Verein von Fibromyalgiepatienten in Italien, zusammen.

Einführung: Was ist Fibromyalgie?

Das Fibromyalgiesyndrom (FMS) ist eine chronische Erkrankung, die sich in allgemeinen Schmerzen, Schlafstörungen, Müdigkeit, kognitiven Veränderungen, Stimmungsstörungen und eine Vielzahl anderer Symptome äußern kann (1). Es betrifft hauptsächlich Frauen. Es kann in jedem Alter diagnostiziert werden, wobei die Prävalenz weltweit von <1% bis 3,6% variiert (2,3). Zur Diagnose sind anhaltende Symptome über drei Monate hinweg erforderlich, und der Prozess ist aufgrund des Mangels an spezifischen Biomarkern und der Überlappung von Symptomen mit anderen Krankheiten komplex (4).

FMS scheint mehrere Ursachen zu haben. Eine entscheidende Rolle spielt die genetische Veranlagung, wie Studien an Familien und genetische Varianten zeigen, die mit dem nozizeptiven System (einem sensorischen System im Körper, das Reize erkennt und darauf reagiert, die Schaden verursachen könnten) bei FMS-Patienten in Verbindung stehen. Es besteht jedoch eine komplexe Wechselwirkung zwischen genetischen und Umweltfaktoren, einschließlich infektiöser oder metabolischer Krankheiten und psychologischer Traumata (5, 6). Diese Einflüsse können Veränderungen in den Nerven-, neuroendokrinen und autonomen Systemen verursachen, was zu einer Veränderung der Schmerzwahrnehmungsschwelle führt und zu nociplastischen Schmerzen führt. Diese Schmerzen treten auf, wenn funktionelle Veränderungen die Schmerzbahnen beeinflussen, ohne dass strukturelle Schäden erkannt werden (7). Dies verschiebt nozizeptive Schmerzen von einem reinen Symptom zu einem eigenständigen Zustand, einer Krankheit (8).

Neuroinflammation und systemische Entzündungen niedriger Intensität, die häufig mit Darmproblemen wie dem Leaky-Gut-Syndrom und Veränderungen des Mikrobioms verbunden sind, könnten eine wichtige Rolle spielen. Fibromyalgie kann sowohl bei Personen auftreten, die zuvor gesund waren (primäres FMS), als auch bei solchen mit einer Vorgeschichte chronischer schmerzhafter Zustände (sekundäres FMS).

Allein auf Medikamente zur Behandlung von FMS zu setzen, ist unzureichend. Ergänzende therapeutische Ansätze wie Akupunktur, Kurtherapie und Techniken zur Förderung des Geist-Körper-Verhältnisses können konventionelle Behandlungen ergänzen. Psychologische Unterstützung, die bei chronischen schmerzhaften Zuständen wie FMS entscheidend ist, spielt ebenfalls eine wichtige Rolle. Daher ist ein integrierter, multidisziplinärer und personalisierter Ansatz zur Behandlung erforderlich (9). Dieser Ansatz sollte die Variabilität der Fibromyalgiesymptome berücksichtigen und als sich entwickelnder Prozess betrachtet werden. Wesentliche Elemente sind Bildung, körperliche Aktivität, Ernährung und angemessene Medikation. Ergänzende Therapien und psychologische Unterstützung sollten aufgrund der Symptomvariabilität bei FMS-Patienten ebenfalls in den kontinuierlichen Behandlungsprozess einbezogen werden.

Die Verwendung von Cannabis beim Fibromyalgiesyndrom

Die Diagnose von Fibromyalgie, einer Erkrankung mit schwankenden und vielfältigen Symptomen, ist herausfordernd und erschwert Behandlungsstrategien. Trotz zahlreicher Therapien erreichen nur etwa 30% der Fälle zufriedenstellende Ergebnisse. In letzter Zeit hat medizinisches Cannabis (MC) aufgrund seiner entzündungshemmenden und immunmodulierenden Eigenschaften durch die Aktivierung von Cannabinoid (CB)-Rezeptoren auf Immunzellen und im zentralen Nervensystem (9) Interesse an der Behandlung von chronischen Schmerzen und Fibromyalgie geweckt. Cannabis, insbesondere Cannabidiol (CBD), beeinflusst die Darmpermeabilität und Entzündung, während Tetrahydrocannabinol (THC) möglicherweise eine signifikante Schmerzlinderung bietet. CB1-Rezeptoren, die bei chronischen neuropathischen Schmerzen hochreguliert sind, könnten auch die durch Stress verursachte viszerale Hypersensitivität beeinflussen (9).

Trotz der vielversprechenden pharmakologischen Eigenschaften von Cannabis sativa zur Behandlung von Fibromyalgie ist die genaue Rolle des Endocannabinoid-Systems in der Pathogenese von Fibromyalgie ungewiss. Präklinische Studien, einschließlich einer kürzlich durchgeführten Untersuchung (10), die Verbesserungen der Schmerzempfindlichkeit bei Mäusen zeigte, die oral oder spinal mit niedrigem THC-Gehalt behandelt wurden, bieten ermutigende Einblicke. Genetische Studien (11), die die Expressionsprofile des gesamten Genoms von Fibromyalgiepatienten untersuchten, haben keine signifikanten Veränderungen innerhalb des Endocannabinoid-Systems identifiziert. Obwohl eine Studie eine Variante des Gens, das den CB1-Rezeptor kodiert, bei einer Untergruppe von Fibromyalgiepatienten identifizierte (12), fehlt für diesen Befund eine konsistente Replikation. Die Hypothese, dass Fibromyalgie einen Mangel an Endocannabinoiden beinhalten könnte (13), bleibt spekulativ; jüngste Untersuchungen haben jedoch auf erhöhte Plasmaspiegel von Endocannabinoiden, insbesondere Anandamid und 2-AG, und verwandten Verbindungen hingedeutet (9), möglicherweise als kompensatorische Reaktion auf den chronischen entzündlichen Zustand, der mit Fibromyalgie verbunden ist.

Klinische Studien zu Cannabis bei Fibromyalgie: Erfoschung der Evidenz

Derzeit werden sowohl die Auswirkungen von Cannabis als Ganzpflanze als auch die von isolierten Cannabinoiden (THC und CBD, allein oder in Kombination) bei FMS untersucht.

Eine Überprüfung von 2016 umfasste zwei Studien zu Cannabinoiden für FMS. Eine Studie zeigte signifikante Verbesserungen bei der Behandlung mit Nabilon, synthetischem THC, gegenüber Placebo (beginnend mit 0,5 mg und anschließend erhöht auf 1 mg + 0,5 mg pro Tag), während eine andere keine signifikanten Unterschiede mit Amitriptylin fand, einem für die FMS-Behandlung häufig verwendeten Antidepressivum. Die Überprüfung kam zu dem Schluss, dass die Evidenz für Nabilon aufgrund der geringen Studienqualität unzureichend war (14). Eine separate Studie zu Dronabinol, einem weiteren synthetischen THC (7,5 mg pro Tag), zeigte eine verringerte Schmerz- und Depressionsintensität und eine verbesserte Lebensqualität. Allerdings brachen 25% der Teilnehmer ab (15).

Eine randomisierte Studie mit 17 Frauen untersuchte die Auswirkungen von THC-reichem Cannabisöl auf Fibromyalgie über einen Zeitraum von acht Wochen. Die Cannabisgruppe zeigte signifikante Verbesserungen in ihrem Fibromyalgie Fragebogen zur Auswirkung und spezifischen Bereichen wie "sich gut fühlen", "Schmerz", "Arbeitsfähigkeit" und "Ermüdung". Die Placebogruppe zeigte eine signifikante Verbesserung im "Depressions"-Score nach dem Eingriff. Es wurden keine schwerwiegenden Nebenwirkungen berichtet. Die Studie legt nahe, dass Phytocannabinoide die Symptome effektiv reduzieren und die Lebensqualität bei Fibromyalgiepatienten verbessern können (16).

Die Mehrheit der Studien zu medizinischem Cannabis bei Patienten mit Fibromyalgiesyndrom (FMS) erfolgt spontan und beobachtend. Eine der wegweisenden beobachtenden Studien (17) über einen Zeitraum von 6 Monaten mit 367 FMS-Patienten, die verschiedene MC-Zubereitungen verwendeten, zeigte eine Reduktion der durchschnittlichen Schmerzintensität von 9 auf 5 auf einer Skala von 0 bis 10. Häufige Nebenwirkungen waren Schwindel (7,9%), trockener Mund (6,7%) und gastrointestinale Symptome (5,4%). Diese Studie untersuchte Behandlungsergebnisse im Zusammenhang mit positiven Ergebnissen, wie dem Vorhandensein von Spastizität oder früherem Cannabiskonsum, und negativen Ergebnissen, einschließlich eines Alters über 60 Jahren und Bedenken hinsichtlich der Verwendung von MC als Medikament. Eine Studie (18) behandelte 102 Fibromyalgiepatienten mit zwei MC-Extrakten mit Bedrocan (22% THC, <1% CBD) und Bediol (6,3% THC, 8% CBD), die in Olivenöl verdünnt und in variablen Proportionen entsprechend den Bedürfnissen der Patienten verabreicht wurden. Dies führte nach 6 Monaten zu einer verbesserten Schlaf- und Lebensqualität bei 44% bzw. 33% der Patienten. Die gleichzeitige Analgetikabehandlung wurde bei 47% der Patienten reduziert. Allerdings berichtete ein Drittel milde Nebenwirkungen. Eine weitere Studie (19) fand MC bei Patienten mit Fibromyalgie und Rückenschmerzen vorteilhaft und stellte positive Ergebnisse im Vergleich zu Opioiden fest. Eine kürzlich durchgeführte Studie, die einen 12-monatigen Nachbeobachtungszeitraum umfasste und mehr als 300 Patienten einschloss (20), legte nahe, dass die schmerzreduzierenden Effekte von MC auf Verbesserungen im Schlaf und in psychologischen Faktoren zurückzuführen sein könnten, jedoch erhöhte eine hohe Abbruchrate die Unsicherheit.

Gemäß einer systematischen Überprüfung und Metaanalyse (24) zeigte die Behandlung von chronischen primären Schmerzen (CPP) mit Cannabinoiden (unter Berücksichtigung von Vollspektrum-MC-Extrakten und einzelnen Cannabinoiden als Äquivalente) begrenzte Vorteile bei der Schmerzreduktion. Es gab jedoch Hinweise auf potenzielle Vorteile bei spezifischen Erkrankungen wie Fibromyalgie und komplexem regionalen Schmerzsyndrom Typ I, insbesondere bei längerem Gebrauch. Eine weitere Studie von Scott et al. (25) beleuchtete die möglichen Einschränkungen von MC und deutete darauf hin, dass es möglicherweise keine endgültige Lösung für schwere Formen chronischer nociplastischer Schmerzen sei, trotz seines potenziellen Nutzens. Personen, die unter schweren chronischen nociplastischen Schmerzen leiden, einschließlich FMS, greifen oft auf MC zurück, da konventionelle Schmerzmittel nicht ausreichen, und neigen dazu, andere Schmerzmittel zugunsten von MC zu substituieren. Sie berichten jedoch auch über weniger Verbesserungen der Symptome. Schließlich verglich eine umfassende Überprüfung (26) Cannabis und Opioide bei der Behandlung chronischer nicht-krebsbedingter Schmerzen. Die Analyse ergab, dass beide vergleichbare Schmerzlinderung boten, aber Cannabis zu weniger Abbrüchen aufgrund von Nebenwirkungen führte. Dies legt nahe, dass Cannabis eine potenzielle Alternative zu Opioiden bei der Behandlung chronischer nicht-krebsbedingter Schmerzen mit möglicherweise weniger Nebenwirkungen sein könnte.

Weitere Studien zu MC bei Fibromyalgie sind im Gange. Die Fibrocann-Studie (21) zielt darauf ab, die Dosis-Wirkungs-Kurve zur Schmerzintensitätsreduktion bei Fibromyalgiepatienten bei verschiedenen Konzentrationen von CBD/THC zu bestimmen, aber die Ergebnisse liegen noch nicht vor (Stand März 2024). Eine Phase-2-Studie mit einem standardisierten Cannabisextrakt (KL16-012) wurde im September 2020 durchgeführt, berichtete jedoch keine Ergebnisse (22). Die laufende CANNFIB-Studie in Schweden untersucht die Wirksamkeit von CBD (23).

Es ist wichtig zu betonen, dass die Behandlung von chronischen Schmerzen, einschließlich FMS, einen multidisziplinären Ansatz erfordert. Dies umfasst körperliche Aktivität, Rehabilitation, ernährungsphysiologische Maßnahmen und psychologische Unterstützung. Dieser umfassende Ansatz berücksichtigt die verschiedenen Aspekte chronischer Schmerzen und fördert das allgemeine Wohlbefinden. Daher kann MC nicht der einzige und endgültige Ansatz sein. Obwohl Cannabinoide nicht alle Fälle chronischer Schmerzen lindern können, legen aufkommende Beweise eine potenzielle Wirksamkeit bei spezifischen Erkrankungen wie Fibromyalgie nahe. Dennoch betont die komplexe Natur der Behandlung chronischer Schmerzen die Notwendigkeit personalisierter, multidisziplinärer Strategien, um die vielfältigen Bedürfnisse von Patienten mit chronischen Schmerzerkrankungen effektiv zu erfüllen.

Schlussfolgerungen und Perspektiven

Neueste Studien legen nahe, dass MC, insbesondere THC-reiche Verbindungen, FMS-Patienten durch die Behandlung von Schmerzen und Schlafstörungen zugutekommen können. Während der wissenschaftliche Nachweis für CBD begrenzt ist, deuten Umfragen darauf hin, dass einige FMS-Patienten Linderung durch CBD-Behandlungen finden (27, 28). Die Forschung ist jedoch noch im Gange.

Viele Studien leiden unter kleinen Stichprobengrößen, was ihre Genauigkeit einschränkt und die Notwendigkeit größerer Studien verdeutlicht. Beobachtungsstudien wie das UK Medical Cannabis Registry bieten durch die Einbeziehung größerer Patientenkohorten valide Ergebnisse. Dieses Register zeigte signifikante Verbesserungen in patientenberichteten Ergebnissen, einschließlich Angst, Schlafqualität und allgemeiner Lebensqualität, bei geringen unerwünschten Ereignissen, nach 1 bis 6 Monaten Behandlung (29). Solche Register sind entscheidend, um die Wirksamkeit und Sicherheit von cannabinoidbasierten Therapien im realen Leben zu verstehen.

Diese Ergebnisse zeigen, dass cannabinoidbasierte medizinische Produkte mit einer geringen Inzidenz schwerwiegender unerwünschter Ereignisse im mittelfristigen Zeitraum assoziiert sind und gleichzeitig positive Veränderungen bei HRQoL-Ergebnissen, insbesondere Angst- und schlafspezifischen Maßnahmen, bewirken. Obwohl noch auf randomisierte kontrollierte Studien gewartet wird, um die Kausalität endgültig festzustellen, dient Evidenz aus der realen Welt dazu, die aktuelle klinische Praxis zu informieren und zukünftige Studien anzuleiten, was einen wichtigen Bestandteil der Pharmakovigilanz-Bemühungen darstellt.

Ein wesentlicher Aspekt, der bei der Verwendung der Cannabis-Therapie für FMS zu berücksichtigen ist, ist die Identifizierung von Prädiktoren für klinische Reaktionen. Sowohl veröffentlichte Studien als auch die persönliche klinische Praxis betonen Vorurteile gegenüber Cannabis und das Patientenalter (d. h. Jahre seit der Diagnose) als Hauptprädiktoren für die Unwirksamkeit der Behandlung. Allerdings hat eine kürzlich durchgeführte Studie (30) vorgeschlagen, dass die Cannabistherapie für Patienten, die gegen konventionelle Behandlungen resistent sind, möglicherweise vorteilhafter sein könnte. In der klinischen Praxis hat sich die Cannabistherapie insbesondere bei Patienten mit signifikanten Begleiterkrankungen im Zusammenhang mit schweren chronischen Schmerzen, wie chronische Migräne, als wirksam erwiesen.

Zusammenfassend ist es entscheidend, die Cannabis-Therapie für FMS fallweise anzupassen und die Bedeutung individualisierter Behandlungsansätze als Eckpfeiler einer effektiven Strategie zur Bewältigung chronischer Schmerzen zu unterstreichen.

REFERENZEN

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